Vielleicht, wenn es sich um die Borg handelt. Aber nicht bei uns Menschen! In letzter Zeit landen vermehrt Bücher, die sich um die Themenkollektive Aufbegehren und Widerstand drehen, auf meinem Lektürestapel.
Wenn man eine schnöde Definition des Wortes Widerstand nach Duden heranzieht, dann bedeutet dieser das Sichwidersetzen, Sichentgegenstellen. Wogegen ist ganz offen. Institutionen, Meinungen, Gesetze, Gruppierungen. Oder wie im Fall des Auftakts meiner bibliothekarischen Ausbeute*: Gegen diejenigen, die die Meinungsfreiheit des Internets gefährden wollen.
Das 2012 erschienene We are Anonymous aus dem Goldmann Verlag liefert einen Überblick zu den Ursprüngen und Aktionen der Anonymous-Gruppierungen bis ins Jahr 2011. Obwohl ich so meine Probleme mit der journalistisch-wissenschaftlichen Aufarbeitung seitens der Autoren hatte, liefert das Buch spannende Denkanstöße darüber, was Freiheit im Internet bedeuten kann und soll. Unter anderem fand ich darin auch einen Verweis auf die Hackerethik,wie sie der CCC (Chaos Computer Club) auf seiner Seite formuliert:
– Der Zugang zu Computern und allem, was einem zeigen kann, wie diese Welt funktioniert, sollte unbegrenzt und vollständig sein.
– Alle Informationen müssen frei sein.
– Mißtraue Autoritäten – fördere Dezentralisierung.
Informationsfreiheit und Dezentralisierung sind genau zwei Punkte, die in einer weiteren Lektüre, die sich aus We are Anonymous speiste, niederschlug: V for Vendetta. Das Grinsegesicht jener Maske, die oft mit Anonymous assoziiert wird, stammt aus der filmischen Adaption der 1988 bis 1989 publizierten Graphic Novel von Alan Moore und David Lloyd.** Die beiden Autoren und Ideengeber für den (Anti-)Helden V wollten einen etwas anderen Superhelden schaffen. Damit dessen Äußeres auch diesem Anspruch gerecht wird, kamen sie auf die Idee, seine Identität durch eine Guy-Fawkes-Maske zu verhüllen. Guy Fawkes‘ Jahrestag wird am 5. November begangen – oder vielmehr wird an diesem Tag eigentlich der Tatsache gedacht, dass der englische König 1605 dem Attentat durch eine Gruppe katholischer Terroristen entging, die das Parlament in die Luft sprengen wollte (Stichwort Gunpowder Plot).
Wie Fawkes neigt V zu explosiven Schandtaten: Kein Wunder, denn in Moore und Lloyds faschistischem England herrscht nicht nur die Norsefire Party, die alle ‚unliebsamen Elemente‘ in Konzentrationslagern entsorgt hat, sondern auch das allwissende Computersystem Fate. In drei Büchern erzählen die beiden, wie V versucht, die Bevölkerung aufzurütteln, damit sie gegen das faschistischen System protestiert und Anarchie – ja, richtig gelesen – herrscht. Aber steht Anarchie nicht eigentlich für einen Status chaotischer Verwirrung und Aufruhr? Genau das fragt Evey (die Mit-Konspiratorin von V, wenn man möchte) ihren Mentor, als die Bevölkerung, die zum ersten Mal ohne Überwachung durch Fate ist, sich in Plündereien und Straftaten ergeht.
No. This is only the land of Take-what-you-want. Anarchy means „without leaders“, not „without order“.
With anarchy comes an age of Ordnung, of true order, which is to say voluntary order.
This age of Ordnung will begin when the mad and incoherent cycle of Verwirrung that these bulletins reveal has run its course. (S. 195)
Jene Flugblätter, die V in diesem Zitat aus Kapitel 2 des dritten Buches – mit Namen Verwirrung (herrlich, wenn deutsche Wörter in der englischen Sprache verwendet werden!) – erwähnt, schaffen wiederum den Bogen zu einer Graphic Novel von Panini, die sich ebenfalls mit dem Thema Widerstand auseinandersetzt. Rayman – Ein Leben im Tode erzählt von einer Untergruppe der französischen Widerstandtruppe FTP-MOI, die Teil der französischen Résistance während des Zweiten Weltkriegs war.
Im November 1943 wurden 23 Mitglieder der in Paris operierenden Manuchian-Gruppe (nach ihrem Anführer Missak Manouchian benannt) gefangen genommen und später hingerichtet. Mit der Frage, wie einer von ihnen, Marcel Rayman, vom jungen, unbeschwerten Mann zum Kämpfer wurde, beschäftigen sich Laurent Galandon und Jeanne Puchol in ihrer Graphic Novel. Das sogenannte „Affiche rouge“, ein Propaganda-Poster, das 1944 von den Deutschen in Paris ausgehängt wurde, sollte eigentlich die darauf abgebildeten Widerstandskämpfer der Manouchian-Gruppe diskreditieren, erlangte aber schnell eine gänzlich andere Bedeutung. In Anlehnung an dieses Plakat ist auch das Cover gestaltet.
In einem sehr klaren, fast ein wenig dokumentarisch wirkenden Zeichenstil wird deutlich, wie sich Raymans passiver Widerstand hin zum aktiven entwickelt: Aus Schmierereien und Flugblättern wird mit einem Mal Waffengewalt gegen das unterdrückende Regime. Die beiden Autoren verfallen dabei in keinerlei moralische Diskussion, Rayman – Ein Leben im Tode ist ein Biopic, das dem Leser den schmalen Grat zeigt, auf dem sich der Widerstand bewegt.
Den Abschluss bildet ein kleines Büchlein, das 2011 erschien und lange in den Bestsellerlisten vertreten war. Die Rede ist von Stéphane Hessels Empört euch. Im zarten Alter von 93 verfasst Hessel ein Pamphlet, das die heutige Jugend oder vielmehr alle, die das nationalsozialistische Regime nicht miterlebt haben, dazu aufruft, sich zu empören. Dass das heutzutage nicht mehr so einfach ist, gibt der Autor selbst zu:
Die Gründe, sich zu empören, sind heutzutage oft nicht klar auszumachen – die Welt ist zu komplex geworden. Wer befiehlt, wer entscheidet? Es ist nicht immer leicht, zwischen all den Einflüssen zu unterscheiden, denen wir ausgesetzt sind. Wir haben es nicht mehr nur mit einer kleinen Oberschicht zu tun, deren Tun und Treiben wir ohne weiteres verstehen. Die Welt ist groß, wir spüren die Interdependenzen, leben in Kreuz- und Querverbindungen wie noch nie. Um wahrzunehmen, dass es in dieser Welt auch unerträglich zugeht, muss man genau hinsehen, muss man suchen. Ich sage den Jungen: Wenn ihr sucht, werdet ihr finden. „Ohne mich“ ist das Schlimmste, was man sich und der Welt antun kann. Den „Ohne mich“-Typen ist eines der absolut konstitutiven Merkmale des Menschen abhanden gekommen: die Fähigkeit zur Empörung und damit zum Engagement. (S.13)
Doch wie findet man nicht nur als junger Mensch, vielmehr in der heutigen digitalen, von der Schnelllebigkeit in allen Bereichen geprägten Gesellschaft, das Wahre, für das es sich zu empören gilt? Im Zeitalter der Meinungsfreiheit im Internet – wie fragil diese ist, zeigt z. B. der Arabische Frühling (und Anonymous‘ Operation Payback) – ist es schwer zu entscheiden, welcher Stimme man Glauben schenken soll. Vor allem dann, wenn auch außerhalb des Internets Regierungen ihre Taten mit einer ‚kreativen‘ Auslegung von Terrorismus rechtfertigen, das Schlagwort ‚alternative Fakten‘ in aller Munde ist, und die Pressefreiheit der Medien, wie anhand aktueller Entwicklungen sichtbar, kein universelles Gut darstellt …
Apropos universell, Stéphane Hessel hat 1948 an der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte mitgearbeitet. Schon einmal gelesen? Solltet ihr nachholen! Ohne bitter wirken zu wollen: Wie viele Gegenbeispiele fallen euch ein, in denen dagegen gehandelt wird? Und wenn ihr euch diese Frage stellt, regt sich da etwas im Inneren? Ein gewisses Unbehagen, ein kleines Räuspern, ein Bauchgefühl, das nach draußen will? Ich glaube, hier ist die Empörung, die Hessel gesucht hat.
Galandon, Laurent und Jeanne Puchol: Rayman – Ein Leben im Tode. Stuttgart: Panini 2015. ISBN 978-3-95798-557-6
Hessel, Stephane: Empört euch. Aus dem Französischen von Michael Kogon. Berlin: Ullstein 2011. ISBN 978-3-550-08883-4.
Moore, Alan und David Lloyd: V for Vendetta. New York: DC Comics 2005. ISBN 978-1-401-20841-7.
Reißmann, Ole, Stöckner, Christian und Konrad Lischka: We are Anonymous. München: Goldmann 2011. ISBN 978-3-442-10240-2.
* 2017 will ich zwar keine neuen Bücher zu meinem bereits reichlich gefüllten Bücherregal dazu kaufen, aber ausleihen ist doch erlaubt …
** Wer bis jetzt nur den Film gesehen hat, sollte die Lektüre schleunigst nachholen! Ein ganz anderes Erlebnis für die Sinne …